5 Jahre und 10 Monate danach
von Georg Wehr
Es ist viel Zeit vergangen, doch das Leben, das ich vor der Gadoliniumvergiftung führen konnte, wird wohl nie wieder so sein, wie ich es kannte. Offen und ehrlich gesagt, gab und gibt es nicht selten Momente, in denen ich mich ernsthaft frage, ob ein solches Leben subjektiv noch als lebenswert einzustufen ist, da die Aussicht auf eine erfüllte Zukunft und die dafür nötige Leistungsfähigkeit, die zuvor vorhanden waren, überwiegend verloren gegangen zu sein scheinen und offenbar nur sehr mühsam und anteilig wiederherzustellen sind.
Einen Lichtblick stellte eine langwierige, intensive Chelattherapie dar, in deren Verlauf es mit Hilfe eines Pakets an ergänzenden Maßnahmen zu einer deutlich spürbaren Linderung der neurologischen Beschwerden und einer messbaren Normalisierung zuvor schlechter Leber- sowie Nierenwerte gekommen ist. Die aufwändige und kostspielige Behandlung brachte eine Verbesserung der Sehfähigkeit, des Konzentrationsvermögens, der Vigilanz, das Nachlassen des Tinnitus und der Faszikulationen mit sich und es gelang mir trotz erheblicher Einschränkungen im Bereich der Lebensqualität dank der aufgezählten Fortschritte nach und nach neuen Mut zu fassen.
Auch die neuropathischen sowie nozizeptiven Schmerzen, die in Zusammenhang mit Nervenschäden, entzündlichen Prozessen und fibrotischen Gewebsveränderungen stehen, ließen im Lauf der Zeit etwas nach. Doch gerade bei niedrigeren Temperaturen, Übersäuerung, viel Stress und anderen ungünstigen Umwelteinflüssen sind sie weiter eine große Last, die viele Lebensbereiche nach wie vor bedeutend einschränkt und mich regelmäßig gleichermaßen quält wie frustriert.
Neben chronischer Schmerzen, des defizitären Leistungsvermögens, mehrerer während der letzten Jahren erstmals aufgetretener Nahrungsmittelunverträglichkeiten, der mich wohl bis an mein Lebensende begleitenden Fibrose und einer Vielzahl zwischenzeitlich zu bewältigender Komplikationen, bereiten mir zusätzlich zu den körperlichen Schäden ebenso die psychischen Folgen der Gadolinium Deposition Disease anhaltend schwerwiegende wie vielseitige Probleme und beeinträchtigen mich in alltäglichen Aktivitäten, meiner Lebensplanung und deren Umsetzung in einem Ausmaß, das von Außenstehenden oft nur schwer nachzuvollziehen zu sein scheint.
Als ausschlaggebende Faktoren sind hier in erster Linie die sukzessive eingetretene soziale Isolation, die immer wieder erlebte Ablehnung und unterlassene Hilfeleistung seitens medizinischen Personals wie auch nahestehender Personen, das wiederholte Verwässern und Ignorieren stichhaltiger Befunde, die infolge abnormer Blutwerte regelmäßige Konfrontation mit mittelfristig lebensbedrohlichen Verdachtsdiagnosen, die tiefgreifende Traumatisierung durch das Erlebte sowie immer wieder zu Durchstehende, der sich wiederholt aufdrängende Verlust an jeglicher Zuversicht, schmerz- und traumabedingte Schlafstörungen, anhaltend intensive Albträume mit schrecklich grausamen Inhalten, aber auch die unzureichende Unterstützung sowie das nach unten Durchreichen in unserem, stellenweise doch recht löchrigen Sozialsystem und die daraus resultierende Verarmung zu benennen. Die genannten Punkte stellen eine enorme Belastung dar, die mich oft an den Rand der Verzweiflung und einige Male darüber hinaus gebracht hat.
In diesem Zusammenhang ist vor allem auch das Fortbestehen der Tendenz zur Invalidierung und Diskriminierung, das entgegen der sich in den letzten Jahren erfreulicherweise vermehrt durchsetzenden Anerkennung der Gefährlichkeit gadoliniumhaltiger MRT-Kontrastmittel, immer noch vielerorts anzutreffen ist, zu erwähnen. Es stellt viele Gadoliniumgeschädigte und auch mich nur allzu oft vor nahezu unüberwindbare Herausforderungen und trägt zu einem Gefühl des allein gelassen Werdens bei, das als überaus deprimierend erlebt werden kann.
Die Bemühungen sich abzulenken, neu zu fokussieren und schrittweise wieder ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben zu gestalten, wurden bis zum heutigen Tag leider durch teils herbe Rückschläge egalisiert. Auch einige Menschen, zu denen man in der Vergangenheit ein Vertrauensverhältnis pflegte, wenden sich ab, verunglimpfen die auch weiter dringend notwendige Aufklärungsarbeit oder beharren im Extremfall gar auf widerlegten Unwahrheiten und verhalten sich rücksichtslos bis vorsätzlich destruktiv, was mich nicht nur ratlos und mit einem Kopfschütteln zurücklässt, sondern zugleich sehr traurig und wenig zuversichtlich stimmt und im Allgemeinen ein elementares Problem in unserer heutigen, erschreckend kaltherzigen sowie rein leistungsorientierten Gesellschaft, der es zunehmend an Gemeinsinn wie Weitblick mangelt, zu sein scheint.
Gerade auch vor diesem Hintergrund wünsche ich mir, dass wir gemeinsam als Betroffene, Experten und Interessierte — auch in Anbetracht aller Hemmnisse und Widerstände — weiterhin für eine konsequente Fortsetzung der Aufklärung, die umfassende Durchsetzung bestehender Patientenrechte, darunter im Besonderen sowohl die darin enthaltene Informationspflicht, als auch damit einhergehend die für die Mündigkeit der Patienten zwingend erforderliche Transparenz jeglicher Behandlung, die angemessene Unterstützung aller Geschädigten und nicht zuletzt für unser Leben und Überleben einstehen und kämpfen.
Es gibt viel zu tun — lassen Sie uns auch in Zukunft zusammenhalten und nach Kräften anpacken!
Zum ForumLogin mit Google oder Facebook möglich
» Hier kostenfrei für das Forum registrieren!